Bei der aktuellen Klima-Diskussion scheinen die Rollen klar verteilt: Auf der Seite der Bösen stehen Industrie, Autos und Gedrucktes. Digitale Informations- und Kommunikationstechnologie (IT) finden sich üblicherweise auf der guten Seite wieder. So gilt Digitalisierung im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit als Teil der Lösung und nicht als Teil des Klima- und Umweltproblems.
„Digital Gut – Print Böse?
Das ist Schubladendenken, wie es schlimmer kaum sein könnte! Denn die Sache ist weit komplexer. Die Welt ist nun einmal nicht ganz so einfach, wie es Politiker oder Lobbyisten gerne darstellen. Und die Alternative Schwarz oder Weiß ist auf unserem Planeten nur höchst selten anzutreffen – in der Regel haben negative Dinge auch etwas Gutes und positive Angelegenheiten etwas Schlechtes. Das macht die Lean-ICT-Studie der Denkfabrik The Shift Project überdeutlich. Darin hat die französische Organisation einmal den ökologischen Fußabdruck der IT- Branche ›vermessen‹ und kommt zu dem Schluss, dass die umweltschädlichen Folgen der digitalen Wirtschaft konstant unterbewertet werden.
Umweltauswirkungen sind keine Bagatelle
So wird der Verbrauch an Energie durch digitale Technologien von den Verbrauchern angesichts der Miniaturisierung der Geräte und der ›Unsichtbarkeit‹ der verwendeten Infrastrukturen massiv unterschätzt. Dies wird durch Dienstleistungen in der Cloud noch verstärkt, da sie die Nutzung von Energie geradezu unmerklich machen. Die realen negativen Auswirkungen digitaler Technologien auf die Umwelt werden in der Folge bagatellisiert.
Doch so harmlos ist die Schadstoffbilanz nicht. Der Anteil der IT-Branche an den globalen Treibhausgas-Emissionen wird in der Studie auf 3,7% beziffert – das ist fast doppelt so viel wie der Beitrag der zivilen Luftfahrt (2,0%) und knapp die Hälfte des Ausstoßes aller Personenfahrzeuge und Motorräder (8,0%).
Sorgen machen sich die Autoren bei The Shift Project aber vor allem wegen der immensen Zunahme des ›digitalen Energieverbrauchs‹ um rund 9% pro Jahr. Sollte sich der Trend fortsetzen und das Datenvolumen im Internet weiterhin um etwa 30% jährlich zunehmen, wäre die IT-Branche schon 2025 für rund 8% aller Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Während die Energieintensität des globalen Bruttoinlandprodukts derzeit um 1,8% pro Jahr sinkt, wächst der Energieeinsatz der IT-Branche gleichzeitig um 4%. Der direkte Energieverbrauch, der durch digitale Technologien verursacht wird, ist im Vergleich zu 2010 um 37% gestiegen. Und die CO2-Emissionen digitaler Technologien sind seit 2013 in den OECD-Ländern um rund 450 Mio. Tonnen gestiegen, während die CO2-Emissionen weltweit im gleichen Zeitraum um 250 Mio. Tonnen CO2 gesunken sind.
Die Gründe für den rasant steigenden Energieverbrauch sind schnell aufgezählt.
- Die Zahl der Smartphones wächst weltweit um 11% pro Jahr. Gleichzeitig bringen sie immer energieintensivere Features mit.
- Die Verbreitung digital vernetzter Geräte in Freizeit und Haushalt (Fitness-Armbänder, Überwachungssysteme etc.) nimmt permanent zu.
- Die Industrie setzt auf das Internet der Dinge, um eine intensivere Vernetzung im Sinne von Industrie 4.0 zu realisieren.
- E-Commerce wächst permanent und hat damit für einen Schub an IT- und Logistik-Dienstleistungen gesorgt.
- Video-Streaming ist für über 80% der Zunahme des Datenverkehrs im Internet verantwortlich. Das Anschauen eines zehnminütigen Videos über die Cloud verbraucht so viel Strom wie fünf Stunden nonstop E-Mails mit Anhang zu versenden. Das Streaming von zwölf Videos kommt einem Stromverbrauch von 2.000 Watt (2 kWh) gleich und benötigt 1.000-mal mehr Energie als der Betrieb eines Smartphones.
Der Rebound-Effekt
Dass digitale Geräte energiesparender werden, ändert an ihrem Energieverbrauch wenig – denn gleichzeitig steigt die Nutzung. So hat die Batteriekapazität von Smartphones in den vergangenen fünf Jahren zwar um 50% zugelegt, die Häufigkeit des Aufladens ist aber konstant geblieben. Das ist ein typisches Beispiel für den sogenannten Rebound-Effekt. Von diesem ist die Rede, wenn die Effizienz bei der Verwendung von Ressourcen zwar gesteigert wird, deren Verbrauch aber nicht in gleichem Maße sinkt. Das ist auch aus dem Automobil-Bereich bekannt. Weil Motoren entwickelt werden, die weniger Sprit schlucken, leisten sich die Menschen PS-stärkere Autos, die wiederum mehr Sprit fressen. Oder aber, wie ein Test in Japan ergab: Autofahrer, die sich nach eigener Wahrnehmung ein ›ökologisches‹ Auto gekauft haben, legen gut 1,6-mal mehr Kilometer als mit ihrem herkömmlichen Auto zurück. Das gute Gewissen, nunmehr ein sparsameres Modell zu fahren, trägt also zu einem kontraproduktiven Verhalten bei.
IT statt Print?
Die Unkenntnis über solche Zusammenhänge nutzen zahlreiche Unternehmen vor allem aus Handel und Dienstleistungen schamlos aus, indem sie ihren Kunden raten, auf elektronisch versendete Rechnungen umzusteigen. Man hängt sich das Mäntelchen des Klimaschutzes um, argumentiert mit geringerem Papierverbrauch, verschweigt aber, dass es dabei lediglich um Kostenreduzierungen geht. Der Telekommunikations- oder Versicherungskonzern spart sich den Druck der Rechnung, reduziert den Aufwand für den Versand und senkt die Portokosten gleichzeitig auf null. Das freut die Controller, macht die Unternehmen aber nicht zwingend glaubwürdiger. Denn unterschlagen wird natürlich, dass der Versand via E-Mail einen nicht zu unterschätzenden Energieeinsatz (vor allem beim Verbraucher) erfordert. Für eine einzige Mail vielleicht nicht bedeutend, in der Summe jedoch ein gewaltiger Brocken. Denn um einen Brief zu öffnen, braucht man im Höchstfall einen Brieföffner. Für die elektronische Rechnung muss jedoch ein Computer samt Monitor eingeschaltet werden. Druckt sich der Empfänger die Rechnung dann auf dem heimischen und wahrscheinlich wenig energieeffizienten Tintenstrahldrucker aus (bei dem sie zweifellos Papier, aber wahrscheinlich kein Recycling-Papier einsetzen), ist die Klima-Sauerei perfekt. Die Unternehmen haben Kosten und Energieaufwand ohne Rücksicht auf Klima und Umwelt auf ihre Kunden abgewälzt. Bravo!
Wechselwirkungen
So werden digitale Techniken gerne als Klima- und Umweltschützer oder als Mittel zur Senkung des Energieverbrauchs angepriesen: Verkehr (vernetzte Mobilität), Produktion (Industrie 4.0), Dienstleistungen (E-Commerce), Gebäude (Smart Building), Landwirtschaft (Smart Farming), Kommunikation (Green IT) etc. Doch die positiven Auswirkungen der IT auf den Energieverbrauch werden überschätzt, weil die Rebound-Effekte unberücksichtigt bleiben und die Wechselwirkungen vernachlässigt werden. Natürlich steht hinter dem Energieverbrauch letztlich immer der eigenverantwortliche Konsument, der zum Beispiel mehr Datenvolumen fordert oder neue digitale Geräte erwirbt – die irgendwann auch einmal entsorgt werden müssen (das ist aber eine noch ganz andere Baustelle). In jedem Fall sind auch vermeintlich unverdächtige Aktivitäten oft mit umweltrelevanten Verbräuchen und Kosten verbunden.
Verbraucher: aufpassen!
Wer sich online ein T-Shirt bestellt, spart zwar Zeit sowie die Fahrt in die Stadt und vermeidet die mit dem Autofahren verbundenen Schadstoff-Emissionen, löst aber eine Kette anderer Aktionen wie ein Mehr an Verpackungen (Paket statt Einkaufstasche), Kurierdienst etc. aus. Schon deshalb ist das Abschätzen klimarelevanter Auswirkungen mit vielen Unsicherheiten verbunden. Wenn Verbraucher aber falsch, nicht oder nur zu wenig informiert werden, ist das bedenklich. Das gilt auch für die großen IT-Unternehmen. Viele geben sich ein visionäres und umweltbewusstes Image, entwickeln aber gleichzeitig Produkte für die Müllhalde. Das von Greenpeace publizierte Ranking zur Umweltpolitik großer IT-Firmen, in dem viele der Giganten wenig löblich abschneiden, spricht Bände. Die Zeiten, in denen digital mit grün gleichgesetzt wird, sind wohl endgültig vorbei.
Von Klaus-Peter-Nicolay (erschienen im Druckmarkt Ausgabe 121)